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Zu viel Aufmerksamkeit – Die schwierige Bewußtseinsbildung beim Klimaschutz
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Markus Reitzig, 2019
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Im Mai 2018 beginnt die Karriere der heute sechzehnjährigen Greta Thunberg als Klimaaktivistin, als sie einen Schreibwettbewerbs zur Umweltpolitik im Svenska Dagbladet gewinnt. Noch im selben Jahr spricht sie auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Katowice, im Januar 2019 beim Weltwirtschaftsforum in Davos, und im September 2019 auf dem UN Klimagipfel in New York, zu dem sie per Segelboot anreist. Das mediale Interesse an der jungen Schwedin scheint unersättlich. Sie mobilisiert zahllose Jugendliche weltweit, an der Bewegung „Fridays for Future“ teilzunehmen. Einige Tage vor der Verleihung des Friedensnobelpreises im Oktober sehen die Buchmacher Greta Thunberg als mögliche Preisträgerin weit vorn. Ihre Quote bei William Hill liegt am zehnten Oktober bei nur 1,6 – bei der deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sind es 21.
Seit dem Jahr 1990 führt das Meinungsforschungsinstitut Gallup Umfragen bei der US-amerikanischen Bevölkerung zum Thema der globalen Erwärmung durch. In seinem jüngsten Bericht weist das Institut vergleichende Statistiken für die Jahre 2001 bis 2019 aus. Darin zeigt sich, dass die US Amerikaner über die Jahre zunehmend glauben, dass der Klimawandel menschgemacht sei, bereits begonnen habe, und noch zu Lebzeiten der Befragten eine wichtige Rolle spielen werde. Auch der allgemeine Besorgnisgrad wächst über die Jahre an. Insgesamt sind die Anstiege jedoch eher moderat bis niedrig. So waren im statistischen Mittel bereits 32% der Befragten in den 200x‘ er Jahren sehr über den Klimawandel besorgt. Dieser Wert stieg auf gerade einmal 44% im Jahre 2019. Bei der Frage danach, ob der Klimawandel bereits begonnen habe, sind die Werte seit 2017 sogar bereits wieder rückläufig. Und dies alles, obwohl das Expertenwissen und seine öffentliche Berichterstattung in den vergangenen 20 Jahren zur Thematik um ein vielfaches zugenommen haben. Als ob diese Neuigkeiten niemanden wirklich interessierten.
Die Wahrheit ist komplizierter und erschließt sich bei Betrachtung der Umfragewerte für einzelne Gruppen von Befragten. Hier zeigt sich, dass die vergleichsweise konstanten Mittelwerte der gesamten Stichprobe über die Jahre getrieben werden von einer Polaisierung der Befragten. So nimmt die Zahl der „betroffenen Gläubigen“ (concerned believers) genauso über die Jahre zu wie die Zahl der „kühlen Skeptiker“, die den Klimawandel weder fürchten noch sehen. Die Gruppe derer, deren Ansichten zwischen den beiden Extremen liegen, nimmt über die Zeit ab.
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Am interessanten aber ist die Betrachtung, was Klimaskeptiker oder –besorgte charakterisiert. Neben demographischen und Bildungsunterschieden ergibt sich dabei vor allem, dass 77% aller Befragten, die der demokratischen Partei der USA nahestehen, klimabesorgt sind, und keiner Klimaskeptiker. Umgekehrt sind 52% aller Befragten, die mit der republikanischen Partei der USA sympathisieren, klimaspektisch, und nur 16% besorgt.
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Bereits im Jahre 2014 stellte die amerikanische Kollegin Deborah Guber, damals auf noch weniger vollständigen Daten, die erwähnte Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft im Hinblick auf den Klimawandel über Parteianhänger fest. Ihre Erklärung dafür, dass – trotz deutlich gestiegener Aufmerksamkeit für das Klimaphänomen in den Medien seit 1990 – die Durchschnittshaltung der Amerikaner gleich bliebt und die Polarisierung zunahm ist so einfach wie intuitiv. Beim komplexen Thema Klimaschutz verlassen sich Wähler zunehmend auf die Aussagen derjenigen politischen Elite, der sie vertrauen. Aber diese selbst nehmen seit Jahren immer gegensätzlichere und verhärtete Positionen im Klimaschutz ein und übertragen dies auf ihre Anhänger.
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Die mediale Aufmerksamkeit, die die Klimathematik genoss und genießt, wird dabei an jeder Stelle von beiden Lagern beansprucht und ausgenutzt. Besorgte wie Skeptiker sehen in jedem Bericht Wasser auf ihre Mühlen. Problematisch könnte es aber für den Klimaschutz genau dann werden, wenn eben jene Mühlen nicht mehr gleichmässig bewässert werden für Besorgte und Skeptiker. Unzweifelhaft wurde das mediale Interesse an Greta Thunberg von den Skeptikern des Klimawandels für ihre Zwecke genutzt, in oft schamloser Weise. Es erscheint fraglich, ob sie diese Skeptiker wird umstimmen können, oder die sich nicht sogar noch weiter abgrenzen in Folge. Gleichzeitig stösst bei den Klimabesorgten die publicity um die junge Aktivistin nicht nur auf positive Resonanz. So zeigte sich der Herausgeber des Kuriers vor einiger Zeit, meines Erachtens zurecht, sehr besorgt, dass das Thema Umwelt zum Modethema werden könnte. Wenn aber die Skeptiker zunähmen, und die Besorgten sich abwenden, dann sänke im Mittel die Unterstützung für den Kampf gegen den Klimawandel.
Verspielt zuviel medialer Fokus auf Einzelpersonen und –initiativen unter Umständen das Interesse der sonst Klimabewussten auf das Thema? Sollten wir zurückkehren zu einer weniger emotionalen Diskussion? Schadet zuviel Aufmerksamkeit hier am Ende der Sache?